Der längste Schachwettkampf, den Nürtingen in den letzten Jahren bestritt fand gegen den Verbandsliga-Aufsteiger in Göppingen statt. Das Match hatte alles an Dramatik zu bieten. Nach sechs Stunden Spielzeit war zudem etwas Glück dabei, zumal die Chancen hin und her wechselten. Dass es am Ende ein 4:4-Unentschieden geben würde war zu keinem Zeitpunkt absehbar.
Eine Krankmeldung am Sonntagmorgen ist für jeden Mannschaftsführer nahezu ein Albtraum, zumal es kaum eine Möglichkeit gibt einen Ersatzspieler noch zu nominieren. So reisten die Schachspieler aus der Hölderlinstadt nach Göppingen mit einem Minuspunkt an, um gegen die junge Aufsteigertruppe zu bestehen. An diesem fehlenden Brett 3 hätten die Gäste darüber hinaus noch die weißen Steine geführt, alles andere als gute Voraussetzungen für den Wettkampf. Dieser gestaltete sich zugleich äußert kampfbetont. Claudius Mehne opferte in der Eröffnung einen Bauern für Initiative und freies Figurenspiel und bot daneben noch ein zweiten an. Nicht so gut aus der Eröffnung kam Stefan Auch während sich Andreas Rohr gleich einem Bauersturm am Königsflügel erwehren musste.
Im Mittelspiel lief es nur am ersten Brett von Mehne richtig gut, mehrere Drohungen musste der Gastgeberspieler parieren. Außerdem sah das entstandene Damengambit von Michael Doll erfolgversprechend aus. Soroush Wadiei hatte im Zentrum einen Bauerntausch falsch berechnet und sich dadurch eine schwere positionelle Schwäche eingehandelt. In der französischen Verteidigung von Klaus Templin war ebenso ein Bauernzug dafür verantwortlich, dass der Gegenüber starke Initiative bekam und alsbald Material eroberte.
Nachdem Mehne recht schnell die Partie zum Sieg führte, erzielte Auch eine glückliche Punkteteilung. Rohr leitete rechtzeitig ein zentrales Gegenspiel ein, was zum Abtausch von Figuren und letztlich zum Friedensschluss führte. Nur Wadiei schaffte es nicht, die Schwäche zu kompensieren und musste zum 2:3 Zwischenstand aufgeben.
Nun war noch nicht klar, wer die fehlenden Punkte auf Nürtinger Seite erzielen konnte. Bernhard Weigand hatte im holländischen Stonewall mittlerweile die Initiative ergriffen, aber ein Sieg schien in weiter Ferne. Doll konnte zwar auf einen Freibauern pochen, der jedoch gut blockiert war und keiner der Spielpartner zeigte Interesse die Stellung ggf. unter Materialopfer zu öffnen. Templin hatte ein Turmendspiel mit zwei Minusbauern erreicht. In diesem zeigte er jedoch, dass ebenso wie das Material die Aktivität der Figuren wichtig ist. Mit präzisem Spiel bis der letzte Stein gefallen war führte er die Partie zum Remis. Damit lag Nürtinger immer noch mit 2,5:3,5 hinten.
Der Wettkampf ging nun in die sechste Stunde und die Ermüdung der Akteure zeigte sich ebenso wie die Bedenkzeit, die auf das Inkrement von 30 Sekunden pro Zug zusammenschmolz. Die Stellung von Doll war jetzt geöffnet und abwechselnd versäumten es die Spieler den Sack zuzumachen. Nachdem weitere Figuren abgetauscht wurden einigten sich beide schließlich auf die Punkteteilung, da keine Seite mehr Vorteil nachweisen konnte.
So lag es an Weigand, der ein Damenendspiel mit zwei verbunden Bauern gewinnen musste, die jedoch vom gegnerischen König blockiert wurden. Zudem wartete der Verteidiger mit einer langen Serie von Dauerschachs auf und im Verlauf hatte die Partie bereits 120 Züge überschritten. Doch der Göppinger griff in Zeitnot einmal fehl, das Dauerschach war pariert. Daraufhin bot er die Dame als Desperado an. Weigand der ein Patt vermutete verschmähte zunächst das Angebot, erst beim zweiten Versuch rechnete er, dass die Pattfalle nicht aufging und schlug die gegnerische Dame zum Sieg und 4:4-Endstand. Ein sehr langer und dramatischer Wettkampf ging friedlich zu Ende und bescherte den zahlenmäßig unterlegen angereisten Gästen einen glücklichen Ausgang.
Göppingen – Nürtingen 4:4
Cilo-Mehne 0:1; Lehmann-Weigand 0:1; Cöllen, E.-Mareck +/-; Cöllen, F.-Auch 0,5:0,5; Dilthey-Doll 0,5:0,5; Cöllen, B.-Templin 0,5:0,5; Sawatzki-Wadiei 1:0; Heilig-Rohr 0,5:0,5.